Der Hausaltar
Immer wieder komme ich in meiner Praxis in den vielfältigen Gesprächen zu dem Punkt und der Frage: „Wie kann ich in eine Verbindung zum Göttlichen treten, aus meinem Herzen heraus, selbständig und ohne äußere Hilfe?“
Hier erinnere ich gerne daran, daß unsere Großeltern und deren Vorfahren die schöne Tradition des Hausaltares gepflegt haben. Leider findet man heute auf jedem Flohmarkt die Requisiten zuhauf und zu Schleuderpreisen, weil niemand sie mehr haben mag.
Aus eigener Erfahrung kann ich nur empfehlen, sich diese Tradition wieder zu eigen zu machen – einen heiligen Platz in der Wohnung zu finden, wo man sich jeden Morgen und jeden Abend bedanken kann, für alles, was man hat. Je mehr uns bewusst wird, was wir haben, um so weniger wünschen wir uns. Und es gibt so vieles, wofür wir uns jeden Morgen bedanken können: z.B., daß niemand auf uns schießt, wir nicht verfolgt werden, wir ein Dach über dem Kopf haben, sauberes Wasser zu trinken, zu essen, anzuziehen, daß wir in Frieden und Freiheit leben dürfen usw. usw. Der Hausaltar ist der geeignete Ort, sich ganz und gar in die Verbindung mit der göttlichen Quelle zu begeben.
Nun sagen heute viele: „Ich kann mit den Symbolen, Bildern oder Statuen nichts anfangen – Gott ist nicht darstellbar, weil überall und in allem.“ Dazu möchte ich hier die Ausführungen des Yoga-Meisters und Arztes Swami Sivananda zitieren, der sehr plausibel erklärt hat, welchen Nutzen wir aus den heiligen Bildnissen ziehen können.
Swami Sivananda sagte:
„Ein Bildnis Gottes ist eine Stütze für den spirituellen Anfänger. Am Anfang ist eine Figur, ein Bild, ein äußeres Symbol der Gottheit hilfreich. Das sichtbare Bildnis erinnert einen an Gott und beeinflusst die Gedanken entsprechend. Durch Verehrung von Statuen und Bildern wird der Geist stetig. Der Verehrer verbindet die Vorstellung von Unendlichkeit, Allmacht, Allwissenheit, Reinheit, Vollkommenheit, Freiheit, Heiligkeit, Wahrheit und Allgegenwärtigkeit mit dem Gegenstand seiner Verehrung.
Nicht alle können ihre Gedanken auf das Absolute ausrichten. Die meisten brauchen eine konkrete Form, um sich darauf zu konzentrieren. Gewöhnlich gelingt es einem nicht auf Anhieb, Gott überall zu sehen und alles so zu behandeln, als sei Gott darin gegenwärtig. Daher ist die Verehrung einer äußeren Form als Hilfsmittel für den modernen Menschen am leichtesten. Der Geist braucht eine Stütze, um sich anzulehnen und zu fixieren.
Die Verehrung von Bildnissen ist in den verschiedensten Religionen anzutreffen. Christen verehren das Kreuz; sie haben die Vorstellung des Kreuzes in ihrem Geist. Moslems stellen sich den Kaaba-Stein vor, wenn sie sich hinknien und beten. Viele Menschen auf der ganzen Welt verehren irgendein Bildnis, haben das eine oder andere Gottesbild in ihrer Vorstellung.
Auch das geistige Bild ist eine Form von Bildnis. Das ist kein Unterschied in der Art der Verehrung, sondern des Grades. Jeder spirituelle Mensch, wie intellektuell er auch sein mag, schafft eine Form im Geist und konzentriert seinen Geist darauf.
Götterfiguren sind kein Hobby von Bildhauern, sondern strahlende Kanäle, durch die das Herz des Verehrers zu Gott hingezogen wird. Obwohl scheinbar das Bildnis verehrt wird, fühlt der Verehrer die Gegenwart Gottes darin und übergießt symbolisch das Göttliche mit seiner Hingabe und Liebe. Die Sicht des modernen, rein an äußerlichen Dingen orientierten Menschen ist durch Unkenntnis getrübt, die ihn daran hindert, das Göttliche (auch) in Bildnissen zu sehen.
So wie man die Klangwellen von Menschen auf der ganzen Erde durch das Radio oder den Fernseher auffangen kann, kann man mittels einer Statue oder eines Bildes mit Gott in Verbindung treten. Das all-durchdringende Göttliche schwingt in jedem Atom der Schöpfung. Es gibt keinen Winkel im All, wo Gott nicht ist. Wie könnte man also behaupten, Er sei nicht in den Bildnissen oder Statuen?
Viele argumentieren: „Gott ist all-durchdringend und ohne Gestalt. Wie könnte man Ihn auf dieses Bildnis beschränken?“ Sind sie sich tatsächlich seiner Allgegenwart ständig bewusst? Sehen sie überall Ihn und nur Ihn allein? – Nein. Das ist nur ein Vorwand. Ihr Ego hindert sie daran, sich vor einem Bildnis Gottes zu verbeugen.
Kaum jemand, wie intellektuell er auch sein mag, kann sich ohne Hilfe eines Symbols konzentrieren. Ein gebildeter Mensch kann aufgrund seines Stolzes und seiner Eitelkeit vielleicht sagen: „Ich mag keine Abbilder. Ich möchte mich nicht auf eine Form konzentrieren.“ Er kann sich aber auch nicht auf das formlose Eine konzentrieren. Er glaubt, die Menschen würden über ihn lachen, wenn sie wüssten, dass er über ein Bildnis meditiert. Tatsächlich meditiert er niemals auf das gestaltlose Eine. Er behauptet es nur und gibt es vor. Er vergeudet sein Leben in nutzlosen Diskussionen. Ein Gramm Praxis ist besser als Tonnen von Theorie.
Ein Bildnis ist ein Ersatz, ein Symbol. Die Statue in einem Tempel, sei sie aus Stein, Holz oder Metall, ist dem Gläubigen teuer, denn sie trägt das Zeichen seines Gottes und vergegenwärtigt etwas, das ihm heilig und ewig ist.
Eine Fahne ist nur ein Stück farbiger Stoff, aber für einen Soldaten steht sie für etwas, das ihm sehr teuer ist. Er ist bereit, sein Leben für die Verteidigung der Fahne zu geben. Ebenso ist das Bildnis dem Verehrer teuer. Es spricht zu ihm in der Sprache der Verehrung. So wie die Fahne im Soldaten kriegerischen Heldenmut erweckt, erweckt die Statue Hingabe im Verehrer. Gott wird auf das Abbild übertragen, so dass es im Verehrer göttliche Gedanken hervorruft.
Wenn du einen Menschen begrüßt und ihm die Hand schüttelst, freut er sich darüber. Du hast nur einen kleinen Teil seines Körpers berührt und doch freut er sich als Ganzes darüber. Er lächelt und heißt dich willkommen. Genauso freut sich Gott, wenn ein kleiner Teil seines kosmischen Körpers verehrt wird. Eine Statue ist ein Teil des Körpers Gottes. Die ganze Welt ist Sein Körper. Die Verehrung eines Teils davon gilt Gott als Ganzes.
Durch diese äußere Form der Verehrung kommt die innere Liebe zum Ausdruck. Der unstete Geist festigt sich durch diese Form der Verehrung. Der Aspirant fühlt nach und nach die Nähe Gottes, erlangt Reinheit des Herzens und überwindet allmählich seinen Egoismus.
Für den gläubigen Verehrer ist jede Art von Bildnis der Körper Gottes, sei es aus Stein, Ton oder Messing, gemalt oder gezeichnet. Alle Materie ist eine Erscheinungsform Gottes. Gott ist in allem gegenwärtig. Alles ist ein Gegenstand der Verehrung, denn alles ist eine Manifestation Gottes, die darin verehrt werden kann. Schon das Verehrungsritual als solches setzt stillschweigend voraus, dass der Gegenstand der Verehrung als überlegen und mit Bewusstheit ausgestattet angesehen wird. Diese Art, die Dinge zu sehen, muss man lernen und den Geist darin schulen.
Regelmäßige Rituale und andere Weisen, unserem Gefühl, dass wir Gott in diesem Bildnis erkennen, Ausdruck zu verleihen, lassen die in dem Bildnis latent vorhandene Göttlichkeit lebendig werden. Das ist wahrhaftig ein Wunder. Das Bild beginnt zu leben. Es spricht, beantwortet deine Fragen und löst deine Probleme. Der Gott in dir hat die Kraft, die verborgene Göttlichkeit in dem Bildnis zu erwecken. Es wirkt wie eine starke Linse, die die Sonnenstrahlen sammelt und auf ein Bündel Baumwolle lenkt. Weder die Linse ist Feuer noch die Baumwolle, und auch die Sonnenstrahlen allein können die Baumwolle nicht entzünden. Erst wenn alle drei auf eine bestimmte Art und Weise zusammengebracht werden, entzündet sich das Feuer und die Baumwolle verbrennt.
Ähnlich ist es mit dem Bildnis, dem spirituellen Schüler und dem alldurchdringenden Göttlichen. Das Abbild ist die Linse, die die alldurchdringenden Strahlen des Göttlichen bündelt und das Feuer göttlicher Erleuchtung im spirituellen Sucher entzündet.
Gott ist im Abbild eingeschlossen. Von hier aus wird Er dich auf eine ganz besondere Weise beschützen. Das Bildnis wird Wunder vollbringen. Der Ort, an dem es steht, wird zum Tempel.
Wer an einem solchen Ort lebt, wird frei von Leid, Krankheit, Fehlschlägen, ja sogar von der Weltlichkeit. Das im Bildnis erweckte Göttliche ist wie ein Schutzengel, der alle segnet und seinen Verehrern höchstes Gut verleiht.
Das Abbild ist nur ein Symbol des Göttlichen. Für den Verehrer ist es kein Steinblock oder ein Klumpen Metall, sondern eine Verkörperung Gottes. Er sieht die dem Bildnis innewohnende Gegenwart Gottes.
Man kann Gott durch Verehrung Seines Bildnisses verwirklichen, weil das Bildnis eine große Hilfe ist bei der Erkenntnis Gottes in Seinem alldurchdringenden formlosen Aspekt, weil die Verehrung von Bildnissen am Anfang sehr wichtig ist zur Entwicklung von Konzentration und Meditation, und weil eine solche Verehrung in keinster Weise ein Hindernis auf dem Weg zur Gottverwirklichung darstellt.
Wer vehement gegen die äußere Verehrung von Symbolen ist, weiß nicht, was Verehrung wirklich bedeutet. Viele Menschen lassen sich auf unnötige, eitle Debatten und Diskussionen gegen Verehrungsrituale ein, um zu zeigen, wie gebildet sie sind. Oft haben sie das Diskutieren zu ihrer Gewohnheit und ihrem Beruf gemacht und schaden sich selbst damit. Außerdem stiften sie Verwirrung bei anderen Menschen. Der Geist wird am Anfang diszipliniert, indem man ihn auf einen konkreten Gegenstand, ein Symbol, richtet.“
Soweit die Ausführungen von Swami Sivananda – sie unterstreichen m.E. sehr gut die heilsfördernde Wirkung, die von einem kleinen heiligen Ort, einem Hausaltar, ausgeht.